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Kommentar

Es braucht ein Moratorium



Foto: Oimheidi / Pixabay
Symbolbild

Am 11. Juli hat der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben (RVBO), der mit der undankbaren Aufgabe betraut ist, Zonen für Windkraft und Freiflächen-Photovoltaik auszuweisen, in Bad Waldsee seine Suchraumkarten vorgestellt.

6300 Hektar für Windkraft und 700 Hektar für FF-PV müssen es am Ende in den drei Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und Bodenseekreis mindestens sein, um das gesetzliche Zwei-Prozent-Ziel zu erfüllen. „Die Suchräume beinhalten aktuell deutlich mehr Flächen, als am Ende im Regionalplan festgelegt werden“, hieß es in der Einladung zur Waldseer Info-Veranstaltung. Als Grund wurde genannt: Im weiteren Planungsprozess würden noch zusätzliche – restriktive – Belange berücksichtigt, „die dann zu konkreteren Gebietsabgrenzungen führen“. So wird die Windkraft-Gebietskulisse, die derzeit (11.7.2023) noch 11 Prozent der Fläche des Regionalverbandes umfasst, bis Jahresende auf 1,8 Prozent reduziert werden. Allerdings heißt es in der Mitteilung auch, dass mit den Suchraum-Karten „eine Vorauswahl von Räumen“ getroffen sei.

Die “Vorauswahl” erstreckt sich besonders auf den Nordosten des Landkreises Ravensburg (sowie auf den Nordwesten des Kreises Sigmaringen) und verschont das Umfeld des Wurzacher Riedes in keinster Weise. Rund ums Ried blinken etliche der gelb markierten Suchräume aus der Karte des Regionalverbandes.

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Gibt es Hoffnung für das Ried?

Ja und nein.

Ja, es gibt die Hoffnung, dass der Regionalverband bei der Suchraum-Reduzierung das weitere Umfeld des Wurzacher Riedes in den Blick nimmt und die europaweite Besonderheit dieses Gebietes vollumfänglich schützt – eben auch vor WKA-Bebauung auf den Beckenrändern.

Aber: Es gibt die Befürchtung, dass bis dahin schon Fakten geschaffen sind.

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Bis 1. Januar 2024 muss der Regionalverband einen Entwurf für seinen Teilregionalplan Energie fertiggestellt haben und damit in die Offenlage gehen. Bis der Regionalplan dann in Stein gemeißelt ist, fließt noch viel Wasser die Schussen hinab. Es wird 2025 sein, wenn dann der neue Regionalplan Rechtskraft erlangt haben wird.

Die Zeit der Goldgräber

Der alte Regionalplan (er stammt von 1996) und der Teilregionalplan Energie von 2012, sie sind weitgehend entwertet durch Windkraft-Vorrang-Normen, eiligst zurechtgezimmert von Land, Bund und EU; und der neue Regionalplan ist noch nicht in Kraft. Dieses Interregnum lockt die Goldgräber auf den Plan.

Die Laoco GmbH aus Kirchdorf an der Iller, die zusammen mit der Energiequelle aus Erfurt drei 261-m-Anlagen im Hummelluckenwald bei Arnach-Humberg und drei bis vier ebenso hohe WKA bei Alttann projektiert, im Umfeld des Wurzacher Riedes, ist seit diesem Frühjahr als Akteur sichtbar geworden. Stößt der Projektierer erfolgreich in die Regelungslücke, wird eine Präzedenz geschaffen.

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Die aktuell fehlende raumplanerische Steuerung wegen des fehlenden neuen Regionalplanes ist die eine große Ungewissheit bei der Windkraftentwicklung im Bereich Bad Wurzach und darüber hinaus.

Was sagt der Europarat?

Die Ungewissheit Nummer zwei: Was sagt der Europarat zu den Windkraftplänen rund ums Ried (außer für Humberg gibt es auch für Osterhofen Planungen, hinter dem Haisterkircher Rücken, diesen aber deutlich überragend)?

Auf gut Glück drauflosgenehmigen hieße, darauf zu hoffen, es werde schon gutgehen. Hieße zu hoffen, der Europarat werde die Augen zudrücken und das touristisch so kostbare Europa-Diplom nicht entziehen, auch wenn die Riesentürme die Hügel rund ums Ried „zieren“.

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Wir meinen: Wenn man den Europarat nicht frühzeitig ins Genehmigungsverfahren einbindet, würde man einen ähnlichen Crashkurs fahren wie weiland Verkehrsminister Andreas Scheuer, dem Brüssel beim deutschen Maut-Projekt die Rote Karte gezeigt hat. Nicht auszudenken, wenn Straßburg, wo der Europarat seinen Sitz hat, der kleinen Kurstadt am Ried ihr Europa-Diplom entzöge. Im Unterschied zum Bund, der Scheuers Hundert-Millionen-Schaden irgendwie wegstecken kann, und im Unterschied zu Dresden, das touristisch breit aufgestellt ist und deshalb den Entzug des Unesco-Welterbetitels verkraften kann, hängt Bad Wurzach monokausal am Ried. Anders gesagt: Ohne das Ried gäbe es  Bad Wurzach als Kurstadt gar nicht.

Zwar wird das Ried noch da sein, wenn die Tafel weg ist. Aber Bad Wurzach wird einen bundesweiten Image-Schaden davontragen.

Eines Rechtsstaates unwürdig

Wegen der beiden großen Ungewissheiten wäre es ein Verstoß gegen Treu und Glauben, wäre es eines Rechtsstaates unwürdig, würde man jetzt Fakten schaffen. Es könnte sogar sein, dass die weit gefassten Suchraum-Karten einen Vertrauensschutz-Anspruch für Projektierer im Vorfeld der Novellierung des Regionalplanes entstehen lassen – für Gebiete, die im finalen Regionalplan dann ausgeschlossen sind.

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Wie man mit einem Interregnum umgeht, kann man von der Kirche lernen. Im Kanonischen Recht gibt es den Grundsatz „Sede vacante nihil innovetur“. Er besagt, dass in der Zeit, da ein Bischofsstuhl nicht besetzt ist, nichts verändert werden darf.

In einer vergleichbaren Lage sind wir in Sachen Windkrafterschließung rund ums Ried: Ungeklärt ist, wo im Wurzacher Becken Windkraft letztlich ausgeschlossen ist, und ungeklärt ist, wie Straßburg sich zur Windkraft in Sichtweite des Riedes stellt. Solange diese Ungewissheiten bestehen, braucht es ein Moratorium, ein Aufschieben von grundsätzlichen Entscheidungen wie es eine WKA-Genehmigung nun mal eine ist.

Auf Teufel komm raus

Es kann nicht sein, dass jetzt Windkraftanlagen auf Teufel komm raus genehmigt werden, die ab 2025 in einem Ausschlussgebiet liegen – dann aber Bestandsschutz genießen!

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Einziger Trost im diesem Fall: Beim Repowering – wenn man nach 20 oder 25 Jahren einen 260-m-Turm durch einen 320-m-Turm ersetzen wollte – griffe ein rechtsstaatliches Veto: Die zusätzlichen 60 Meter wären im Ausschluss-Gebiet dann nicht statthaft.

600 m oder 750 m – eine  Ungleichbehandlung

Eine dritte Ungewissheit: Was ist eigentlich mit der ungleichen Behandlung der Bewohner von Einzelgehöften und verstreuten Wohnplätzen einerseits und der Bewohner in geschlossenen Ortschaften auf der anderen Seite? Die Ersteren müssen damit leben, dass die Windkraftanlagen bis auf 600 Meter an ihre Häuser heranrücken; Letztere haben einen Schutzabstand von 750 Metern. Der Artikel 3 Grundgesetz wurde in Sachen Gleichbehandlung schon öfter strapaziert – ob aber eine solche gesundheitsrelevante Ungleichbehandlung in Karlsruhe Bestand hat, ist die Frage. Man darf gespannt sein, was das Verfassungsgericht dazu zu sagen hat.
Gerhard Reischmann

Anm. d. DBSZ-Red.: Dieser Kommentar war Anfang Juli 2023 – mit Blick auf die  Informationsveranstaltung des Regionalverbandes – veröffentlicht worden und wurde nun bezüglich des zeitlichen Anknüpfungspunktes angepasst und um weitere Argumente ergänzt.

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