Kinder sind ein großes Glück. Nicht zwangsläufig empfindet aber jede Mutter das. Vor allem wenn sie mit mehreren Kindern überfordert ist mit all den Aufgaben, die sie bewältigen soll.
Wer keine Kinder hat, weiß nicht, was es heißt, rund um die Uhr fremdbestimmt zu sein, nur noch wenig Zeit für sich selbst zu haben. Manche Mütter gehen von Anfang an in ihrer Rolle auf und stellen ihre Bedürfnisse komplett zurück, andere haben Zweifel, alles zu schaffen. Mutterschaft ist so individuell wie wir Menschen. Und auch das in den letzten Jahren viel diskutierte Thema „Regretting Motherhood“ (deutsch etwa „Bedauern der Mutterschaft“) ist kein Tabu-Thema mehr.
Lebensentwürfe sind nun mal völlig unterschiedlich. Manche gehen in ihrer Mutterrolle auf und sind gerne Hausfrau. Manche arbeiten Teilzeit, andere Vollzeit. Manche geben ihr Kind in den Kindergarten, andere haben Babysitter oder bekommen Hilfe von Oma und Opa. Man muss und kann nicht alles alleine schaffen. Schon gar nicht, wenn man alleinerziehend ist. Ohne schlechtes Gewissen sein Kind einer anderen Bezugsperson anzuvertrauen, fällt vielen Frauen schwer. Unbewusst versuchen sie, dem Mythos von der perfekten Mutter zu entsprechen und reiben sich auf.
Dabei kommt mit der Geburt eines Kindes nun mal nicht zwangsläufig das totale Mutterglück. Nicht alle Frauen empfinden Muttersein als Lebenssinn. Sie betrachten diese Skepsis als persönliches Versagen und haben Schuldgefühle. „Regretting motherhood“ ist der Titel einer 2015 veröffentlichten Studie der feministischen Soziologin Orna Donath. Sie befragte Frauen in Israel aus sehr unterschiedlichen sozialen Schichten und religiösen Hintergründen, die meisten waren verheiratet, einige geschieden. Für die Studie wählte sie nur Frauen aus, die die Frage: „Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, mit Ihrem heutigen Wissen und Ihrer Erfahrung, würden Sie dann nochmal Mutter werden?“, klar mit „nein“ antworteten. Die befragten Frauen hatten das ausgeprägte Gefühl, in ihrer Rolle als Mutter gefangen zu sein. Die Frauen gaben an, dass sie ihre Kinder liebten, es aber gleichzeitig hassten, Mütter zu sein. Einige der Frauen sagten aus, dass sie die Mutterschaft bereits in der Schwangerschaft bereut hätten, die Reue hat also nicht mit der Entwicklung des Kindes zu tun.
Ältere Studien bestätigen, dass das Ausbleiben von Glücksgefühlen nach einer Entbindung nichts Ungewöhnliches ist: 10 bis 20 Prozent aller Wöchnerinnen leiden unter postpartalen Stimmungskrisen, einige von ihnen sogar an Depressionen. Diese Missstimmungen sind allerdings zumeist nicht so nachhaltig wie die Reuegefühle, von denen Donath berichtet.
Die Psychologen William Keith Campbell und Jean Twenge entdeckten bereits 2003 bei der Auswertung von 97 Studien zum Thema Elternschaft die folgende Entwicklung: Wer Kinder bekommt, sei in den ersten Jahren durchschnittlich unglücklicher als Kinderlose. In der Grundschulzeit gebe es ein kurzes Hoch, das zur Pubertät wieder absinke. Erst wenn die Kinder aus dem Haus seien, seien Eltern glücklicher als Gleichaltrige ohne Nachwuchs.
Forscher des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung werteten eine Studie mit Daten von 200.000 Erwachsenen aus 86 Staaten aus. Demnach bedeuten ab dem Alter von 40 Jahren Kinder mehr Lebensglück. Je mehr Kinder jemand habe, desto höher sei das Glücksempfinden. Allerdings erst dann, wenn man keine kleinen Kinder mehr habe. Eine Studie, für die diese Autoren mehr als 2000 deutsche Teilnehmer befragten, kam zu folgenden Resultaten: Nach der Geburt des ersten Kindes erlebten 70 Prozent der Eltern eine Verringerung ihrer Lebensqualität, bei mehr als einem Drittel der Eltern stürzte der auf einer Skala von 0 (völlig unzufrieden) bis 10 (völlig zufrieden) ermittelte Wert um 2 oder mehr Punkte ab.
Rabenmutter oder Superglucke?
Vor allem seit Donaths Studie „Regretting Motherhood“ ist das Thema kein Tabu mehr. Rabenmutter oder Superglucke? Frauen, die zugeben, ihre Mutterschaft zu bereuen, werden zwar oft als kaltherzig wahrgenommen, gleichzeitig aber auch die Rollenerwartungen hinterfragt, die an Frauen gestellt werden. Es gibt mittlerweile reichweitenstarke Blogs zu diesem Thema, auch einige Bücher. Die Soziologin Christina Mundlos berät Mütter in Krisensituationen. In ihrem Buch „Wenn Mutter sein nicht glücklich macht. Das Phänomen Regretting Motherhood“ zeigt sie mögliche Lösungswege auf.
Viele Paare und Frauen erleben es als großes Glück, ein Kind zu bekommen. Aber nicht alle. Und es ist gut, dass immer mehr Mütter mittlerweile offen darüber reden. Frauen, die ihre Mutterrolle innerlich ablehnen, müssen beileibe ihrem Kind keine schlechten Mütter sein. Sie lieben in den allermeisten Fällen ihre Kinder und kümmern sich um sie. Sie leiden allerdings unter den Lebensumständen. Beispielsweise, dass die care-Arbeit wenig anerkannt und honoriert wird. Als berufstätige Frauen werden sie oft mit einem großen Teil der Hausarbeit alleine gelassen. Sie fühlen sich von Familie, Beruf und Haushalt überlastet. Frauen sollen sich ihre zwiespältigen Gefühle zugestehen und auch darüber sprechen. „Manche Frauen schweigen ihr Leben lang und bereuen die Mutterschaft heimlich“, berichtet Christina Mundlos in oben genanntem Buch. Es kostet viel Überwindung, mit anderen darüber zu sprechen, als Mutter nicht glücklich zu sein. „Dabei würde das Reden helfen! Mich haben Mütter angerufen, die schon älter als 60 Jahre waren, um mir zu erzählen, dass sie seit Jahrzehnten fühlen, dass ihr Leben mit Kind nicht ihr Leben ist. Jetzt, wo sie erfahren, dass es ihnen nicht alleine so ergeht, sind sie erleichtert. Sie verstehen, dass das Gefühl nicht falsch ist.“ Paare sollten möglichst früh klären: Für wen ist zu welchem Zeitpunkt welcher berufliche Entwicklungsschritt wichtig? Kommen wir auch mit weniger Geld aus? Wie viel Kinderbetreuung können wir uns leisten? Wie können wir die Hausarbeit sinnvoll aufteilen?
Bekanntlich hat die Ablehnung einer Situation viel mit Überforderung zu tun. Daher ist es wichtig, sich Hilfe zu holen. In Familienberatungsstellen und Mütterberatungen gibt es Profis, die zuhören und helfen mehr Klarheit, aber auch Entlastung in den Alltag zu bringen.
Autorin: Andrea Reck